Politische und regulatorische Entscheidungen müssen, besonders bei Frequenzfragen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Bei der Weltfunkkonferenz 2023 wird über die Zukunft eines Teils des TV-UHF-Bandes beraten. Dabei hilft nun die neue Studie „Spectrum demand of professional wireless production tools (PMSE)“ von Prof. Georg Fischer und Thomas Ackermann von der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Die in englischer Sprache veröffentlichte Arbeit liefert neue Erkenntnisse. Die Initiative „SOS – Save Our Spectrum“ hat sich mit Prof. Georg Fischer dazu ausgetauscht.
Fischer macht deutlich, dass der Spektrumsbedarf hier erstmals anhand einer statistischen Verteilung dargestellt wird. Dazu dienen mathematische Modellierungen. Gefragt wird: Wieviel Spektrum braucht ein Event? Das hängt, wie allgemein bekannt, von vielen Faktoren, etwa Größe und Dynamik des Ereignisses, ab. Fischer und Ackermann gehen aber noch einen Schritt weiter. Sie stellen die Frage: Wie viel Prozent aller Veranstaltungen sind nicht mehr möglich, wenn ein gewisser Teil des Spektrums für PMSE (Funkmikrofone, usw.) wegfällt?
Diese Sicht auf Events und ihren Spektrumsbedarf ist innovativ. Ausgangspunkt von Berechnungen muss dabei immer der Spitzenbedarf einer Veranstaltung sein. Warum? Reine Durchschnittswerte bei der Frequenzbelegung sind nicht nützlich. Vergleichen kann man das mit der Fahrt auf einer Autobahn: Wer meist 120 km/h fährt, manchmal aber 180 km/h, fährt im Durchschnitt vielleicht 140 km/h, und könnte doch mit einem Auto, das maximal 160 km/h fährt, nichts anfangen. Denn viele Fahrten wären dann nicht mehr wie bisher möglich. Also ist der Bedarf bis 180 km/h anzunehmen. Genauso ist es bei einem Event. „Man kann hier nicht auf Kante nähen“, sagt Fischer: „Man muss Reserven haben.“
Fischer nennt das Beispiel der Telefonnutzung. Diese schnellt zu einem Zeitpunkt des Jahres immens in die Höhe – nämlich in der Silvesternacht zum Jahreswechsel. Auch dann müssen noch Leitungen frei sein, nicht zuletzt, um notfalls Rettungsdienste alarmieren zu können. Solche Reserven braucht auch PMSE. Trotzdem sind Fischers Annahmen noch konservativ. Aus zwei Gründen: Zum einen zeigen Spektrumbeobachtungen, dass es zusätzliche Nutzungen außerhalb der Planung gibt. Oft ist mehr Bedarf da, als zunächst geplant wurde. Zum zweiten werden manche Events inzwischen schon so eingeschränkt geplant, dass gar nicht alle künstlerischen Erfordernisse berücksichtigt werden. Hier wird der Frequenzmangel bereits antizipiert.
Fischer nennt Beispiele seiner Berechnungen. Wenn man als PMSE 20 Prozent des Spektrums verliert, sind 10 Prozent aller Veranstaltungen nicht mehr möglich. Müsste PMSE sogar 70 Prozent seines Spektrums abgeben, gingen 60 Prozent der Veranstaltungen verloren. „Abhängig davon, wieviel MHz ich verliere, desto weniger Events können stattfinden“, sagt Fischer. Aber, wie beschrieben, sei das konservativ gerechnet. Viele Tonmeister und Choreographen würden eine geringere Frequenzausstattung von vornherein antizipieren und auf besondere Events oder Teile davon verzichten. Solche Besonderheiten könne man dann in Las Vegas sehen, aber nicht in Mitteleuropa. „Über Spektrumbeobachtungen werden wir den gewünschten Bedarf nicht ermitteln“, unterstreicht auch Matthias Fehr, der seit Jahrzehnten Funkanwender berät und im Vorstand des APWPT aktiv ist.
Gibt es bereits heute Einschränkungen, von denen wir wissen? Ja! Im Januar 2021 gingen schon drei Prozent aller Veranstaltungen nicht mehr wie geplant in Deutschland über die Bühne. Bereits heute ist also ein Frequenzmangel deutlich. Technische Wunderlösungen gibt es für das Problem nicht. Breitbandsysteme (WMAS) müssen sich erst noch beweisen, sagt Fischer. Mehr Antennen seien keine Option für körpergetragenes Equipment wie unter Kostümen. Und andere Frequenzbereiche als der niedrige UHF Bereich kommen aus physikalischen Gründen nicht in Betracht, denn dann könnte man sich als Artist oder Sänger nicht mehr auf der Bühne bewegen. Auch ein Ausweichen auf Frequenzbänder, die früher den Mikrofonen gehörten und nun dem Mobilfunk zugewiesen sind, ist mangels Interferenzrisiko nicht möglich. Zudem: Bei Events sind neben vielen PMSE-Anwendungen auch viele Mobiltelefone im Einsatz. Oft muss man sich heutzutage so durchwurschteln. Manche Probleme bei der indoor-Nutzung können etwa durch dicke Wände abgefangen werden. Dann gilt aber das Prinzip Hoffnung, um nicht zu sagen, das Prinzip Glück.
Die Kernergebnisse der Studie sind:
- Niedrige Frequenzen im Bereich zwischen 470 und 694 MHz sind für Kultur und Events sehr wertvoll.
Grund ist, dass die Wellenlänge dieser Frequenzen größer als der Körperdurchmesser ist. Diese Beziehung ist entscheidend für die Richtwirkung. Wären die Wellenlänger kleiner als der Körperdurchmesser, würde man den Künstler auf der Bühne nicht mehr hören, wenn er sich umdreht. Denn dann strahlt die Antenne in die falsche Richtung. Bei 470 bis 694 MHz besteht das Problem nicht. Bei höheren Frequenzen sind dagegen Fading, Schwund und Qualitätsprobleme zu beobachten.
Herausforderung ist das body worn equipment. Es ergeben sich hohe Dämpfungen der Funksignale, als Konsequenz daraus, dass die Antennen nahe am Körper, wenn nicht sogar direkt auf dem Körper platziert sind. Niedrige Frequenzen sind notwendig, damit man den Künstler auf der Bühne verstehen kann.
- Die PMSE-Community macht ihre Hausaufgaben, verbessert ihre Technik. Aber: Niedrige Frequenzen kann man aus physikalischen Gründen nicht durch höhere Frequenzen ersetzen.
Breitbandsysteme können helfen. Der Rundfunk hat DVBT, der Mobilfunk LTE als Breitbandsysteme. Jetzt sind auch für PMSE solche Systeme (WMAS) erlaubt. Ihr Vorteil: Bei Events lässt sich der Mikrofoneinsatz besser justieren und die Qualität besser aufteilen. Man gewinnt an Robustheit. Allerdings braucht man für Breitbandsysteme zusammenhängende Frequenzbereiche. Der Frequenzbedarf sinkt also nicht, zumal die Zahl der Veranstaltungen in Europa steigt.
- Und der Mobilfunk?
Wegen Breitbandversorgung meinen viele, dass Mobilfunkbetreiber mehr Bandbreite = mehr Spektrum [MHz] brauchen. Falsch! Was die Nutzer brauchen ist mehr Kapazität [bit/s]. Mit MIMO kann man aus fester Bandbreite [MHz] mehr Kapazität [bit/s] rausholen. Wir brauchen eine Kapazitätsoffensive, keine Breitbandoffensive!
Hier ist die Studie veröffentlicht:
https://opus4.kobv.de/opus4-fau/frontdoor/index/index/docId/20058
https://doi.org/10.25593/978-3-96147-574-2
FAU University Press, 2022; FAU Studien aus der Elektrotechnik (17)
Foto: Fischer