Interview mit Minister Olaf Lies (SPD): Frequenzbedarfe genau evaluieren

Interview mit Minister Olaf Lies (SPD): Frequenzbedarfe genau evaluieren

Interview mit Minister Olaf Lies (SPD): Frequenzbedarfe genau evaluieren 2267 2045 SOS - Save our Spectrum

Die Initiative „SOS – Save Our Spectrum“ hat mit dem Präsidenten des Beirats der Bundesnetzagentur, Minister Olaf Lies (SPD) aus Niedersachsen gesprochen.

Foto: MU/Shino Photography

Vorwort des Ministers: Die Bundesnetzagentur sorgt für eine frühzeitige und weitsichtige Zuteilung der Frequenzen entsprechend der Bedarfe der jeweiligen Interessensträger. Um diese Aufgabe im Sinne aller Interessensträger erfüllen zu können, hat die Bundesnetzagentur bereits im November 2021 die Studie „PERSPEKTIVEN ZUR NUTZUNG DES UHF-BANDS 470-694 MHZ NACH 2030“ in Auftrag gegeben. Hauptauftragnehmer war die Goldmedia GmbH Strategy Consulting, Unterauftragnehmer waren das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS sowie Prof. Dr. Jürgen Kühling der Universität Regensburg. Die Antworten auf die folgenden Fragen greifen zum überwiegenden Teil auf die genannte Studie zurück.

 

In welcher Weise nutzen Sie als Minister drahtlose Produktionsmittel wie Funkmikrofone?

Ich nutze drahtlose Übertragungstechnik für die Aufzeichnung von Video-Grußworten, hybriden Videokonferenzen und Telefoninterviews.


Sie kommen aus Niedersachsen, dort ist eines der letzten funktechnischen Betriebe Deutschlands beheimatet – und in manchen Sparten ein Weltmarktführer. Wie stolz ist man in Niedersachsen auf das Unternehmen Sennheiser?

Wir freuen uns sehr, dass Sennheiser als weltweit führendes Unternehmen im Bereich professioneller Audiotechnik und als unabhängiges Familienunternehmen in der dritten Generation dem Gründungsstandort in Niedersachsen die Treue hält. Darauf sind wir natürlich auch sehr stolz, denn es zeigt auch, dass wir in Niedersachsen sehr viele Standortvorteile vereinen, wie zum Beispiel den beschleunigten Ausbau unserer Energie-Infrastruktur für eine Zukunft mit Erneuerbaren Energien.

Funkmikrofone benötigen Frequenzen. Zweimal ist der Frequenzbereich in den letzten Jahren verkleinert worden. Nach dem Jahr 2030 droht eine weitere Reduzierung des Spektrums. Wie können Sie Künstler*innen und Musiker*innen beruhigen?

Wir verzeichnen eine stetig steigende Nachfrage nach Funkfrequenzen. Unser Ziel bei der Frequenzzuteilung ist es, alle Interessensträger*innen dabei zu berücksichtigen. Dazu gehören selbstverständlich auch die Künstler*innen und Musiker*innen. Hierzu müssen bewährte, aber auch neue Lösungen evaluiert werden. Die o.g. Studie führt hierzu aus:

Der professionelle Veranstaltungsfunk (Audio PMSE) bleibt langfristig auf die Nutzung von UHF-Low-Band, wie aktuell im Bereich 470–694 MHz, angewiesen, um qualitativ hochwertige, störungsfreie Funkverbindungen ohne große Abschattungen nutzen zu können. Ein Ausweichen in das UHF-High-Band (> 2 GHz) unter Einsatz von Mobilfunktechnologie (PMSE-xG) erscheint langfristig zwar denkbar, wäre dann jedoch nur mit hohem technischem, organisatorischem und monetärem Aufwand realisierbar.

Ein Lösungsansatz, um der zunehmenden Spreizung von Grund- und Steigerungsbedarfen zu begegnen, wäre daher, den Bedarf von Großveranstaltungen besser als bislang durch Spektrum im Frequenzbereich 1350 MHz bis 1492 MHz zu bedienen und die Beschränkungen auf eine reine Indoor-Nutzung aufzuheben. Dies könnte Entlastung für zeitlich und örtlich begrenzte Hot-Spot-Bedarfe bringensowie das erforderliche zusammenhängende Spektrum für zukünftige WMAS-Systeme bereitstellen.

Langfristig könnten 5G-basierte PMSE-Systeme im UHF-High-Band eine Alternative für hochqualitative Audiolinks darstellen. Allerdings ist aufgrund physikalischer und struktureller Herausforderungen ungewiss, ob die Technologie Marktreife erreicht. Optimierungspotenzial bieten WMAS-Systeme, die bei Großveranstaltungen mit vielen Audiolinks eine effizientere Frequenznutzung ermöglichen, jedoch zum Betrieb breitbandiges, zusammenhängendes Spektrum benötigen.

Die Kultur nutzt die Frequenzen in guter Symbiose mit dem terrestrischen Rundfunk. Dieser benötigt für DVBT-2 und 5G-Broadcast auch nach 2030 ein störungsfreies Spektrum. Bleibt der Bereich zwischen 470 und 694 MHZ für das Fernsehen langfristig nutzbar und sicher?

Auch hier gilt es, die Frequenzbedarfe für den Zeitraum nach 2030 genau zu evaluieren. Folgendes Fazit zieht die o.g. Studie zur Frequenznutzung durch den terrestrischen Rundfunk:

Für Freenet TV/Media Broadcast stellt die DVB-T2-Verbreitung weiterhin die Grundlage des Freenet TV-Geschäftsmodells dar. DVB-T2 ist ein qualitativer Differenziator zu rein IP-basierten OTT-TV-Diensten, deren Empfang am Endgerät im Vergleich zu DVBT2 häufiger technische Probleme aufweist (z. B. adaptiv geringere Bildqualität bei geringerer Datenrate). Es ist zu berücksichtigen, dass eine Diskussion über eine mögliche Einstellung der DVB-T2-Verbreitung ab 2031 negative Konsequenzen für die DVB-T2-Nutzung der nächsten Jahre haben könnte. Aktuell besteht hier die Perspektive, dass aufgrund der Streichung der Umlagefähigkeit von Basis-Kabelanschlüssen über die Wohnungsmiete kurz- bis mittelfristig Kunden hinzugewonnen werden können.

Aktuell ist es nicht geplant, den stationären TV-Empfang zukünftig mit der 5G-NRBroadcast-Technologie zu bedienen. Dieser soll nach Planungen der Rundfunkanbieter auch nach 2030 über DVB-T2 weiterlaufen.

Nach aktuellen Planungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist geplant, 5GNR-Broadcast ab 2027/2028 schrittweise als Ergänzung zum DVB-T2-Angebot einzuführen, in der Hoffnung, dann einen vollständigen 5G-NR-Broadcast-Mode nutzen zu können. Hierfür sollen neue kurze Live-Formate entwickelt werden, die ähnlich wie Radio eher auf mobile Nutzungssituationen ausgerichtet sind und während der Fahrt (im Zug, im ÖPNV oder in selbstfahrenden Autos) auf dem Smartphone oder anderen mobilen Empfangsgeräten/Screens genutzt werden können.

Politiker*innen aus den Regierungsfraktionen in Berlin sagen, dass eine (neue) co-primäre Zuweisung des Bandes an den Mobilfunk eine Gefahr darstellt für Kultur und Medien. Dies würde der Vereinbarung des Koalitionsvertrages nicht gerecht. Was können Sie tun, damit Kultur und Medien auch nach 2030 das Band sicher und störungsfrei nutzen können?

Die co-primäre Nutzung ist nur eines von mehreren Frequenznutzungsszenarien. Die verschiedenen Szenarien können unter verschiedenen Rahmenbedingungen im Zeitverlauf eine unterschiedliche Relevanz einnehmen. Für die Kultur- und Medien-Industrie wären demnach der Erhalt des Status-Quo, unter der Annahme der Vertagung der Entscheidung bezüglich der co-primären Nutzung auf 2027 und der Weiterentwicklung und Investitionen in 5G-NR-Broadcast-Technologie nennenswert, sowie die in der Studie ausgearbeiteten Szenarien zur Kooperativen Nutzung.

Unter der Voraussetzung, dass die WRC 23 bereits die Grundlage für eine ko-primäre Nutzung schafft, wäre es möglich, auf eine längerfristige kooperative Nutzung des TV-UHF-Spektrums hinzuwirken. Dies würde bedeuten, dass der Rundfunk Teile des heute genutzten Spektrums durch technische Änderungen freigibt […].

Für eine kooperative Nutzung des TV-UHF-Spektrums werden folgende fünf Optionen erörtert:

  1. Beibehaltung einer DVB-basierten terrestrischen TV-Übertragung mit neuer Videokompression (DVB-Tx)
  2. Umstellung der Sendetechnik von DVB-T2 auf 5G-NR-Broadcast
  3. Umbau der Sendenetze mit stärkerer Einbindung von Medium Power/Medium Tower bzw. Low Power/Low Tower-Standorten
  4. Fokussierung auf DVB-T2-Kernverbreitungsgebiete mit verstärkter Harmonisierung der Programm-Bouquets
  5. Fokussierung auf DVB-T2-Kernverbreitungsgebiete sowie Reduktion der terrestrischen Programmbouquets

Bisher ist das Band zwischen 470 und 694 MHz europäisch harmonisiert. Eine co-primäre Zuweisung an den Mobilfunk würde diese Harmonisierung im Binnenmarkt gefährden. Das wird euphemistisch mit „Flexibilisierung“ beschrieben. Wie wichtig ist eine harmonisierte Frequenznutzung in Europa – auch für Hersteller wie Sennheiser, die für Weltmärkte produzieren (müssen), nicht für einzelne Länder?

Die Bundesnetzagentur berücksichtigt die Relevanz einer grenzübergreifenden Harmonisierung der Frequenznutzung für die Hersteller von Veranstaltungstechnik. Hierzu führt die o.g. Studie Folgendes aus:

Für die professionellen Nutzer von Veranstaltungstechnik ist entscheidend, dass eine europäische Harmonisierung von PMSE-Spektrum im Mid-Band bis 1,8 GHz für professionelle Audio-Anwendungen gelingt. Ziel wäre es, dass entsprechende Absatzmärkte entstehen und Profi-Equipment grenzübergreifend auch in höheren Bandlagen eingesetzt werden kann. Die weltweit zunehmende Komplexität der Sekundärnutzung von Frequenzen erfordert zudem Systeme, die ein breites Frequenzspektrum bedienen können und ggf. eigenständig in der Lage sind, auf Störung während der Übertragung dynamisch zu reagieren. Langfristig wird es relevant sein, ob die Entwicklungen im Bereich Mobilfunk-basierter PMSE-Technik (PMSE-xG) die Steigerungsbedarfe bei Großveranstaltungen durch Nutzung von Frequenzen oberhalb von 2 GHz bedienen können.

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