Können drahtlose Produktionsmittel 5G nutzen?

Können drahtlose Produktionsmittel 5G nutzen?

Können drahtlose Produktionsmittel 5G nutzen? 150 150 SOS - Save our Spectrum

Könnten drahtlose Produktionsmittel 5G einsetzen, dann ständen ihnen auch deren Frequenzbereiche zur Verfügung – sofern der Mobilfunk seine Frequenzen an PMSE-Nutzer (Programme Making and Special Events) „vermietet“: Das könnte den Frequenz-Druck bei Produktionen verringern. Aber ist das realistisch? Grund genug, 5G auf die Verwendung durch drahtlose Produktionsmittel zu untersuchen.

5G wird als das Allheilmittel für Mobilfunkanwendungen gepriesen: Alles wird zuverlässiger, schneller, und man kann ein signifikant höheres Datenvolumen übertragen bei niedrigeren Kosten. Man merkt schon: 5G klingt wie ein Marketingbegriff. Doch was steckt dahinter?

5G steht für die fünfte Generation des Mobilfunks. Zurzeit haben wir die vierte Generation, 4G, auch als LTE bekannt. Vorgänger waren B-Netz (1G), D-Netz/GSM (2G) und UMTS (3G).

Die Vorteile von 5G werden oft mit den Schlagworten

  • Ultra Low Latency (ultrakurze Verzögerungszeit) und
  • Ultra High Reliability (ultrahohe Übertragungssicherheit)

charakterisiert. Beides sind auch die Voraussetzungen für drahtlose Produktionen.

In dem Projekt PMSE-xG (PMSE – nächste Generation) wurde untersucht, ob 5G für PMSE, also für drahtlose Mikrofone, In-Ear Monitore, Kameras, Regie- und Kommandostrecken, Effekte, Lichtsteuerungen usw. geeignet ist. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert.

Was war das Ergebnis? Holen wir zunächst etwas aus…

Ultra Low Latency (ultrakurze Verzögerungszeit)

Ultra Low Latency beschreibt die Verzögerung zwischen Sender und Empfänger, also die Zeit von einem Ende der Übertragungsstrecke zum anderen. Diese ist bei 5G mit 1 Millisekunde propagiert worden – quasi Echtzeit, Ultra Low Latency. Reicht das aus?

Für einwandfreies Intonieren müssen sich Musiker über ihr Monitorsystem in Echtzeit hören. Genauer: Die Verzögerungszeit zwischen der eigenen Stimme und dem Monitorsignal darf keinesfalls mehr als 4 Millisekunden betragen. Das beinhaltet nicht nur die Übertragung der Stimme vom drahtlosen Mikrofon zu dessen Empfänger. Es beinhaltet auch die Lautstärke sowie Klangbearbeitung im Mischpult und die Rücksendung des Stimmsignals zusammen mit den Signalen der anderen Musiker zum In-Ear-Monitor des Musikers oder die Weitergabe an die Saal-Lautsprecher. Und schließlich beinhaltet es auch noch die Wandlung des anlogen Signals in ein digitales Signal und zurück.

1 Millisekunde könnte gerade so dafür ausreichen.

Aber: Kann 5G das wirklich? Was versprechen denn die Unternehmen der Telekommunikation?

Vodafone wird zitiert mit „weniger als 10 Millisekunden“. Die Deutsche Telekom spricht von 2 bis 3 Millisekunden.

Das klingt nicht so gut.

Hinzu kommt: Bei diesen Angaben handelt es sich lediglich um einen Weg und gerade nicht, wie oben beschrieben, um den Hin- und Rückweg. Mit den 2 Millisekunden der Telekom für nur einen Weg wäre das „Budget“ bereits aufgebraucht. Es bliebe dann keine Zeit mehr für die Klangbearbeitung im Mischpult, die 1,5 bis 2 Millisekunden braucht. Fazit: 5G muss hier sein Versprechen erst noch einlösen.

Unter Laborbedingungen wurden für einen Weg bereits Werte von nur 330 Mikrosekunden erreicht. Möglich ist es also! Aber nur im Labor, derzeit noch nicht in der Praxis.

Ultra High Reliability (ultrahohe Übertragungssicherheit)

Ultra High Reliability beschreibt die Zuverlässigkeit der Datenverbindung. Von unseren Telefonaten kennen wir „Drop-outs“, die kurzzeitigen Unterbrechungen des Audio Signals. Daran haben wird uns gewöhnt. Sprache hat ja zum Glück eine gewisse Redundanz. Deshalb kann unser Gehirn die unterbrochenen Wörter zusammenfügen.

Bei Veranstaltungen jeglicher Form ist das jedoch nicht akzeptabel. Sind Sprache oder Musik bei einer Übertragung gestört, werden sie als minderwertig empfunden.

Es ist ein absolutes „No-Go“ für Musik, Musicals, Theateraufführungen, Konferenzen, TV-Produktionen, Recording etc. Noch etwas kommt hinzu: Veranstaltungen mit Aussetzern beim Ton lassen sich später auf CD, DVD oder Blu-ray nicht zweitverwerten.

Drahtlose Audio-Produktionsmittel benötigen eine stabile Übertragungsstrecke mit 99,99% Verlässlichkeit. In der Praxis bedeutet dies, dass in 1 Stunde nur eine Summe aller Unterbrechungen von weniger als 1 Sekunde zulässig ist. Ein Wert, der mit 5G noch nicht erreicht wurde – jedenfalls nicht unter den Praxisbedingungen eines Konzertes oder einer TV-Show.

Nun könnte man ein Gegenargument anführen: Warum muss die notwendige Verlässlichkeit so hoch sein? Es wäre doch möglich, mit einer Fehlerkorrektur die Unterbrechungen zu kaschieren! Meine Antwort darauf: Im Prinzip ja, aber eine umfassende Fehlerkorrektur kostet Zeit. Diese Zeit steht, wie oben beschrieben, nicht oder nur in sehr geringem Maße zur Verfügung. Auch wenn bereits eine Fehlerkorrektur eingesetzt wird, die nur wenig Zeit in Anspruch nimmt, können damit keinesfalls alle Aussetzer beseitigt werden.

Folgendes Bild veranschaulicht die Zusammenhänge:

Drahtlose Mikrofone müssen verschiedene Anforderungen erfüllen:

Das sind die Anforderungen der Künstler an die Latenz (Verzögerungszeit) und die Zuverlässigkeit.

Hinzu kommen die Anforderungen der Produzenten an die Zuverlässigkeit und die spektrale Effizienz, insbesondere Letzteres wird auch von der Bundesnetzagentur gefordert.

Verändert man eine dieser drei Größen, hat das Auswirkungen auf mindestens einen anderen Parameter des Dreiecks. Wird die Zuverlässigkeit oder die spektrale Effizienz verbessert, erhöht sich die Latenz, weil etwa eine zeitfressende Fehlerkorrektur eingesetzt werden muss. Alternativ könnte man mehr Spektrum nutzen, breitbandiger werden, um die Latenz nicht unzulässig zu verringern.

Um Unterbrechungen zu vermeiden, muss das Signal beim Empfänger verlässlich und ungestört ankommen – und das während der gesamten Zeit der Mikrofonnutzung, also während der gesamten Dauer eines Musicals oder einer TV-Show.

Geht es oder geht es nicht?

Eine gute Frage!

Wie sich das alles mit 5G realisieren lässt, wird derzeit im Projekt „LIPS – Live Interactive PMSE Services“ untersucht, das vom Bundesministerium für Wirtschaft gefördert wird. Die Ergebnisse werden im nächsten Jahr erwartet.

Dann werden wir wissen, ob 5G für PMSE taugt und es in der Praxis alle Anforderungen grundsätzlich erfüllen kann.

Wir sind sehr gespannt.

Kommen wir nun noch zu ein paar weiteren Themen im Zusammenhang mit 5G: den von vielen sehnsüchtig erwarteten Zusatzdiensten, dem Zugang zum 5G Spektrum (hier sieht es in Deutschland gut aus!) und den Geräten.

5G Zusatzdienste

Studien von Ericsson haben ergeben, dass 5G, im Vergleich zu heutigen 4G Netzwerken, etwa zehnmal geringere Kosten pro Gigabyte erlaubt. Das würde Zusatzdienste ermöglichen.

Was heißt das für die Veranstaltungsbranche?

Der Produzent eines Konzertes könnte etwa für sehbehinderte Opern-Besucher eine Audiodeskription anbieten. Er könnte es auch ermöglichen, dass man über einen Kopfhörer nur den Sänger hören kann. Oder der Besucher schaltet auf den Gitarristen um, um ein Riff besonders gut zu hören. Man könnte all diese Zusatzdienste dann mit einem 5G Smartphone und dem entsprechenden Kopfhörer nutzen.

Für einen Produzenten bedeuten solche Zusatzdienste eine weitere Einnahmequelle. Für den Konzertbesucher bedeuten solche Dienste mehr Freude, mehr Spaß, mehr Glück.

Zugang zum 5G Spektrum

Damit drahtlose Produktionsmittel 5G nutzen können, muss für diese Anwendung der Zugang zu Frequenzen gewährleistet sein. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat das in den Vergaberegeln für die 5G Frequenzbereiche bereits berücksichtigt: Der Bereich 3.4 bis 3.7 GHz wird an den Mobilfunk versteigert. Der Bereich 3.7 bis 3.8 GHz ist Industrieanwendungen, aber auch der Kultur- und Kreativindustrie vorbehalten.

Werden die oben beschriebenen Probleme gelöst, ließen sich die Anwendungen wie auch die Zusatzdienste realisieren.

Bislang ist der Bereich 3.7 bis 3.8 GHz allein in Deutschland für Industrieanwendungen reserviert. Das ist ein Wettbewerbsvorteil für unser Land, denn so sind PMSE-Produktionen in der Lage, eigene 5G Netze mit eigener Hardware aufzubauen und zu betreiben.

Eine alternative Möglichkeit ist das „Mieten“ des Spektrums vom Mobilfunk für eine Veranstaltung. Dazu müssen dann entsprechende Vereinbarungen mit den Mobilfunkunternehmen abgeschlossen werden.

5G Geräte

Gibt es denn schon 5G Geräte?

Auf der großen Mobilfunkmesse in Barcelona wurden Anfang 2019 erste 5G Geräte vorgestellt. Gegen Ende des Jahres könnten gemäß Ericsson erste (Test-)Systeme verfügbar sein. Mit dem Durchbruch für 5G rechnet man im Jahr 2023.

Hilft das drahtlosen Produktionsmitteln?

Bevor 5G bei drahtlosen Produktionen eingesetzt werden kann, sind noch einige Bedingungen zu erfüllen. Diese müssen dann in den 5G Standard integriert werden.

Mit den Erkenntnissen aus dem PMSE-xG Projekt ist das deutsche Unternehmen „Sennheiser electronic“ Mitglied in der dafür zuständigen 3GPP Arbeitsgruppe geworden. Ziel ist es, dass die Anforderungen von PMSE in den künftigen 5G Standard aufgenommen werden. Der nächste Schritt in der 5G Standardisierung ist Release Nr. 16, das für Dezember 2019 geplant ist. Das übernächste Release, Nr. 17, soll die PMSE relevanten Kriterien enthalten. Es wird für Mitte 2021 erwartet.

Dann ist davon auszugehen, dass die neue Hardware bis 2023 entwickelt ist und die 5G Produkte voraussichtlich 2025 im Markt verfügbar sind.

Schneller geht es leider nicht.

Man erkennt: Standardisierung ist ein arbeitsintensiver, zeitaufwendiger Prozess! Und: Die Standardisierung kann nur das technisch Mögliche umsetzen. Um die Produkte in der Praxis einsetzen zu können, müssen auch die regulatorischen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Fazit

5G hat bislang noch nicht bewiesen, dass es für PMSE und andere ähnlich kritische Anwendungen funktioniert! Dazu ist noch Grundlagenforschung notwendig.

Aufgrund dieser Unwägbarkeiten benötigt PMSE das UHF-TV Spektrum und anderes Ersatzspektrum noch mindestens so lange bis nachgewiesen ist, dass 5G bei drahtlosen Produktionsmitteln eingesetzt werden kann.

Sollte 5G nicht in der Lage sein, die notwendigen Anforderungen zu erfüllen, müssen nicht nur die zurzeit nutzbaren Frequenzbereiche erhalten bleiben. Es müssen dann auch für den wachsenden Spektrumsbedarf zusätzliche Frequenzen ausgewiesen werden.

Die Politik berücksichtigt die derzeitigen Unwägbarkeiten: Die EU und die Bundesregierung haben zugesagt, dass der UHF-TV Bereich für drahtlose Produktionen bis mindestens 2030 erhalten bleibt. Eine gute Perspektive! Wir hoffen, dass sich die EU und deren Mitgliedstaaten damit auch auf der kommenden Weltfunkkonferenz im November 2019 durchsetzen können.

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