„ÜBERleben trotz KUNST“: Gespräche über Künstler, Kooperation und Kollegialität in Zeiten der Not

„ÜBERleben trotz KUNST“: Gespräche über Künstler, Kooperation und Kollegialität in Zeiten der Not

„ÜBERleben trotz KUNST“: Gespräche über Künstler, Kooperation und Kollegialität in Zeiten der Not 2520 1680 SOS - Save our Spectrum

Leo Schmidthals ist Musiker (Selig, Heinz Rudolf Kunze, Produzent und Theatermusiker) und hat ein Format entwickelt, bei dem Künstler aller Gattungen in einem Roundtable Gespräch über ihren Lebensweg erzählen.

Die Pandemie zwingt auch Musiker wie Sie, daheim zu bleiben. Wie fühlt sich das an?

Es fühlt sich merkwürdig an. Eigentlich wäre ich im März mit meiner Band SELIG auf Deutschlandtour gefahren. Danach, im April, als Instrumentalist bei einer weiteren Tournee mit Heinz Rudolf Kunze wieder quer durch Deutschland. Ich wäre also die ganze Zeit unterwegs gewesen. Beides wurde abgesagt. Für Musiker*innen ist und bleibt der Applaus des Publikums die beste Belohnung. Die Bühne, das Zusammenspiel mit den anderen, und der direkte Kontakt zum Publikum fehlen mir.
Wir haben aber ein Video zu einem unserer SELIG-Songs erstellt, bei dem jeder von uns vieren zu Hause in Quarantäne sein Instrument einspielt (https://www.youtube.com/watch?v=dRf6932MSS8). Immerhin haben wir so digital gemeinsam musiziert.
Und die Kommentare, die die Menschen hinterlassen haben, waren so etwas wie digitaler Applaus. Trotzdem fehlen mir das Tourleben und die zwei Stunden Show am Abend. Ganz zu schweigen von dem Honorar, denn ich bestreite einen Großteil meines Einkommens aus Live-Konzerten.

Sie haben „Roundtable“-Gespräche unter dem Titel „ÜBERleben trotz KUNST“ ins Leben gerufen, die in den sozialen Medien und auf YouTube gestreamt werden. Was steckt hinter dieser Idee?

Meine ursprünglich Idee für „ÜBERleben trotz KUNST“ war, im Rahmen des Wintersemesters an der Leuphana-Universität in Lüneburg, mit Prof. Dr. Michael Ahlers in einer Talkrunde mit jeweils zwei bis drei etablierten Kulturschaffenden einer Frage nachzugehen: Lohnt es sich, die riskante Entscheidung zu treffen und einen Beruf als Künstler*in anzustreben?
Es geht darum, anhand der Lebenserfahrung, den Berichten, Anekdoten und charmanten Hintergrundstorys der Gäste aufzuzeigen, dass das Klischee der „brotlosen Kunst“ oft nicht zutrifft. Die Erkenntnisse aus dem Umgang mit Krisen oder Erfolgen der unterschiedlichen Karrieren können großes Inspirationspotential haben. Und die Angst nehmen, auch mal eine Entscheidung für einen Lebensweg jenseits der Norm einzuschlagen.
Als dann die Corona Krise kam, stellten wir fest, dass unser Thema jetzt plötzlich ganz konkret geworden ist. Nun beleuchten wir nicht nur generell das ÜBERleben als Künstler, sondern auch die Problematik, in dieser Krise auf einmal kein Einkommen, keinen Auftritt, keine Beschäftigung, keine Anerkennung mehr zu haben. Also haben wir uns für die Form des Livestreams entschieden und einfach begonnen – und es ist ein mutmachender Livestream geworden, auch für mich selbst: einfach etwas Neues anfangen, wo das Gewohnte gerade nicht geht.

Sie wollen auch junge Leute ermutigen, einen Lebensweg abseits der Normen einzuschlagen. Warum?

Ich denke, dass von Künstler*innen – egal welchen Genres – immer eine erfrischende, inspirierende, wegweisende Wirkung für die Gesellschaft ausgeht. Es ist Künstler*innen eigen, das Bestehende in Frage zu stellen, die Norm oder den Common Sense zu hinterfragen, nach Alternativen zu suchen und mit Freude und Kreativität an der Verbesserung der Welt zu arbeiten.
Künstler*innen halten der Gesellschaft den Spiegel hin und können neue Strömungen oft als erste erahnen (man denke z.B. einmal an das Wien der Jahrhundertwende).
Meiner Erfahrung nach ist ein Künstlerlebensweg auch ein besonders reicher Lebensweg (finanziell hingegen ist es immer wieder eine Herausforderung).
Außerdem sind Künstler*innen es gewöhnt, sich mit sich selbst und ihren Lebensverhältnissen auseinander zu setzen und bei einem Wechsel schnell und kreativ zu reagieren. Davon kann die Wirtschaft, die Gesellschaft profitieren.
Je mehr Künstler es gibt, desto besser.

Welche sonstigen Erkenntnisse haben Sie aus den Gesprächen – nun, mitten in der „Pandemie“ – gezogen?

In unseren Gesprächen wird offen über die Sorgen und Nöte gesprochen, aber auch über die Nothilfen, die es gibt. Und es wird hinterfragt, ob der Wert der Kunst (im Bereich der Musik, Literatur oder des Theaters) durch das kostenlose online Streamen Schaden nimmt.
Welche Modelle kann es dafür in Zukunft geben? Wie sieht es mit Kooperation und Kollegialität in Zeiten der Not aus?
Hier konnten wir festzustellen, dass die Künstler*innen in Zeiten der Not zusammenarbeiten und zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen.

Wir haben als „SOS – Save Our Spectrum“ Politiker verschiedener Parteien zur Lage der Kultur interviewt. Was würden Sie diesen Politikern gerne mit auf den Weg geben?

Es ist durch die Corona Krise nicht nur deutlich geworden, wie wichtig und wertvoll die oft gering bezahlten Jobs im Medizin-, Agrar- und Einzelhandelsbereich sind, sondern wie wertvoll eine funktionierende Kulturszene für das Wohlergehen und Selbstverständnis unserer Gesellschaft ist.
Wir müssen darüber nachdenken, wie auch in Zukunft Kulturschaffende ÜBERleben und arbeiten können.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre wohl ein erster richtiger Schritt.
Außerdem sollte die Urheheberrechtsreform weitergedacht werden: Wie kann ein Künstler in seinen Rechten im Netz gestärkt werden (nicht nur Musiker*innen, auch Maler*innen, Fotograf*innen, Filmemacher*innen, Buchautor*innen, etc).
Desweiteren sollte die GEMA gestärkt werden. Wir sollten überlegen, warum es in Deutschland keine Musiker*innengewerkschaft gibt wie in anderen Ländern. Die Theater und die Förderlandschaft, insbesondere für kleinere Projekte, sollte gestärkt werden, ebenso die Künstlersozialkasse.
Die Ausbildungen für künstlerische Berufe sollten weiterhin kostenfrei bleiben und das BAFÖG weiterentwickelt werden. Gleichberechtigung sollte hergestellt werden zwischen den Geschlechtern im Kulturbetrieb. Die Klimakrise sollte bei allen Maßnahmen mitbedacht werden.

Haben Sie schon Pläne für die Zeit nach der Pandemie?

Ich hoffe, dass ich dann endlich wieder auf Tour gehen kann und es nicht zu viel terminliche Überschneidungen gibt.
Das ist (auch für die Crew und alle, die an einem Konzert mitarbeiten) ein oft nicht bedachtes Thema: Durch den Aufhol-Effekt sind oft die Hallen, Clubs und Konzerthäuser schon ausgebucht, man kann die Verluste nicht wieder wett machen – denn man kann immer nur an einem Ort zu gleich sein.
Und es ist unser Plan, ÜBERleben trotz KUNST dann live mit Publikum zu veranstalten, weiterhin die Kulturszene des Landes einzuladen und auf diese oft verrückten Lebenswege und unglaublich inspirierenden Personen aufmerksam zu machen und ihnen eine Plattform zu bieten – und eben mit positiver Energie weiter Kunst machen…ÜBERleben trotz KUNST.

Das Gespräch führte Jochen Zenthöfer für die Initiative „SOS – Save Our Spectrum“ am 28. April 2020.


Überleben trotz Kunst in den Sozialen Medien:

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