Landtags- und Bundestagswahlen sind Highlights der politischen Berichterstattung: Eine Vielzahl von Journalisten berichtet live, gespannt warten Bürger an den Radio- und Fernsehgeräten auf die ersten Hochrechnungen und Statements. Der Rundfunk kann aber nur dann berichten, wenn genug freie Frequenzen für Funkmikrofone und weitere drahtlose Produktionsmittel zur Verfügung stehen. Messungen bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg vom 12. Februar 2015 belegen: Nach der Versteigerung des 700-MHz-Bandes („Digitale Dividende 2“) an den Mobilfunk wird Wahlberichterstattung in der heutigen Form und Vielfalt nicht mehr möglich sein.
Grafik 1: Frequenzverluste durch Spektrumsverkäufe der Regierung
Frequenznutzung bei der Bürgerschaftswahl 2015
Seit Jahren untersuchen Spezialisten der DKE (Deutsche Kommission für Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnologie), wie viele Frequenzen an Wahlabenden genutzt werden. Besonders groß ist der Andrang normalerweise kurz nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen, wenn Radio- und Fernsehteams die ersten Statements der Politiker einfangen möchten. Normalerweise sind so viele drahtlose Kameras und Mikrofone vor Ort aktiv, dass eine zentrale Anmeldung und Frequenzkoordination dieser Geräte erfolgen muss. Nur so ist sichergestellt, dass es keine wechselseitigen Störungen gibt.
Die aktuelle DKE-Messung vom 12. Februar 2015 dokumentiert die Frequenznutzung im Congress Center Hamburg (CCH), wo die Stadtverwaltung das Medienzentrum zur Bürgerschaftswahl eingerichtet hatte. Insgesamt waren dort 255 drahtlose Verbindungen für die Presseberichterstattung aktiv.
Bei der Bürgerschaftswahl 2015 ließen sich noch alle angemeldeten PMSE-Geräte im Frequenzspektrum unterbringen. Alle anwesenden Teams konnten damit wie beabsichtigt senden und berichten. Dies war möglich, da im bereits versteigerten Bereich 790 – 862 MHz (Digitale Dividende 1) das LTE-Mobilfunknetz noch nicht vollständig ausgebaut war und die Frequenzen nach wie vor störungsfrei für die Produktion genutzt werden konnten. Auch der aktuell zur Versteigerung anstehende Bereich 694 – 790 MHz (Digitale Dividende 2) war noch verfügbar.
Situation nach der Digitalen Dividende 2
700- und 800-MHz-Frequenzen werden aber in Kürze ersatzlos wegfallen. Nach einem vollständigen Ausbau von LTE dort müssen drahtlose Produktionsmittel in das Spektrum 470 – 694 MHz wechseln, mit Ausnahme der Anwendungen in der Mittenlücke (823 – 831 MHz). Das neue Spektrum muss sich PMSE dicht gedrängt mit den DVB-T-Sendern teilen. Durch die höhere Belegungsdichte wird sich dann auch die Störanfälligkeit bei Produktionen erhöhen.
Insgesamt müssten an einem vergleichbaren Wahlabend nach einem Ausbau von LTE in den 700- und 800 MHz-Bändern 107 drahtlose Verbindungen verlagert werden. Das ist knapp die Hälfte der für die Berichterstattung benötigten Verbindungen.
Diese 107 PMSE-Verbindungen lassen sich im verbleibenden Spektrum 470 – 694 MHz zusätzlich nicht störungsfrei unterbringen. Dies hätte zur Folge, dass künftig weniger Radio- und Fernsehteams live vor Ort berichten können und die freie Berichterstattung eingeschränkt wird.
Umstellung auf DVB-T2 bringt nochmalige Verschärfung
Das digitale Antennenfernsehen, das wegen der Digitalen Dividende 2 künftig ebenfalls nur noch im Frequenzbereich 470 MHz – 694 MHz senden darf, wird vom derzeitigen Übertragungsstandard DVB-T auf den neuen Standard DVB-T2 umgestellt werden. Diese Umstellung vollzieht sich in Schritten, damit die Fernsehzuschauer Zeit haben, sich neue Fernsehgeräte zu kaufen. Für eine Übergangszeit werden alle Programme in beiden Standards ausgestrahlt werden (so genannte Simulcast-Phase). Dadurch werden zusätzliche TV-Kanäle belegt.
Den Nutzern drahtloser Produktionsmittel steht in dieser Phase nur noch ein Bruchteil des heutigen Spektrums zur Verfügung. Aufgrund der laufenden Planungen ist zu erwarten, dass im Raum Hamburg dann für die Nutzung drahtloser Produktionsmittel lediglich 8 TV Kanäle übrig bleiben: Platz also für maximal etwa 80 drahtlose Verbindungen – statt den 255, die noch bei der Wahl 2015 genutzt werden konnten. Viel zu wenig für die Berichterstattung bei einer Bürgerschaftswahl; aber auch viel zu wenig für die Kultur- und Kreativbranche mit ihren Musicals und Theatern.
Fazit
Die Messungen der DKE am Wahlabend des 15. Februar 2015 in Hamburg belegen, dass die Versteigerung des 700-MHz-Bandes („Digitale Dividende 2“) an den Mobilfunk einen signifikanten Einschnitt für die elektronische Berichterstattung bedeuten wird. Bei Landtags- und Bundestagswahlen wird es künftig nicht mehr genug freie Frequenzen für alle Radio- und Fernsehteams vor Ort geben. Die jeweiligen Landtagsverwaltungen werden dann im Vorfeld gezwungen sein, diejenigen Journalisten und Reporter auszuwählen, die am Wahlabend mit drahtlosem Equipment die Statements der Politiker einfangen dürfen.
Diese Limitierung ist ein Eingriff in die freie Berichterstattung und damit auch in die Meinungsbildung der Bürger. De facto kommt sie einer Einschränkung der Rundfunkfreiheit gleich.
Die geschilderten Einschnitte dürfen nicht eintreten. Die Politische Berichterstattung und die Meinungsbildung der Bürger leben von der Vielfalt der vor Kamera und Mikrofon geäußerten Standpunkte. Wir fordern von der Politik, dass sie bereits jetzt ausreichend Ersatzspektrum für drahtlose Produktionsmittel bereitstellt: vorausschauend, langfristig und verlässlich.
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Detaillierte Grafiken zur Spektrumsnutzung in Hamburg und zu den erwarteten Frequenzverlusten können Sie hier herunterladen:
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